Torsten Schoch, die Xella Gruppe setzt sich für Technologieoffenheit ein und hält nichts davon, einen Baustoff gegen den anderen auszuspielen. Was bedeutet das für Sie?
Für mich bedeutet technologieneutrale Politik die Abwesenheit von Voreingenommenheit. Mit anderen Worten, die Regierung oder eine ähnliche Institution gibt einen groben Weg vor, aber sie setzt nicht den Rahmen oder den Standard, um diesen Weg zu erreichen. Meiner Meinung nach ist es in einer Marktwirtschaft unerlässlich, den Weg zur Lösung eines zentralen Problems offen zu lassen. Nur so ist wirkliche Innovation möglich. Verbrennungsmotoren oder bestimmte Bauweisen zu verbieten ist nicht technologieoffen. Zu sagen, wir wollen am Ende eine dekarbonisierte Wirtschaft schon. Wie die Lösungen aussehen, bestimmen die Akteure.
Gehen wir noch einen Schritt weiter: Was sind die Hauptargumente für eine technologieneutrale Baupolitik?
Die Beurteilung, welche Gebäude nachhaltig und zukunftsfähig sind, ist komplex, weil viele verschiedene Aspekte eine Rolle spielen – und diese können je nach Zweck des Gebäudes variieren.
Gefragt sind intelligente Energielösungen, langlebige Konstruktionen und erschwingliche Designs. Hinzukommt, dass ein Gebäude oft auch als Geldanlage dient.
Umso wichtiger ist es, dass Bauherren ihre Entscheidungsfreiheit behalten und gleichzeitig über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Technologien informiert sind. Bewährte Bauweisen, die zu Gebäuden mit einer Lebensdauer von mehr als 100 Jahren führen, sind allein schon aus Gründen der Nachhaltigkeit gerechtfertigt. Technologieoffenheit ist aus meiner Sicht der Schlüssel. Ob Ziegel, Beton oder Holz – alle Baustoffe haben ihre Berechtigung. Wichtig ist, die Möglichkeiten verantwortungsvoll abzuwägen und sie im jeweiligen Kontext intelligent einzusetzen.
Wenn Sie der Langlebigkeit von Gebäuden Priorität einräumen: Welches Material sollte man in Betracht ziehen?
Meiner Meinung nach ist die Massivbauweise mit Kalksandstein, Porenbeton oder Beton die nachhaltigste Bauweise. Denn Massivbauten halten ein Leben lang und die Materialien können am Ende wiederverwendet werden. Im Prozess der Rekarbonatisierung wird ein Großteil des beim Brennen von Zement und Branntkalk freigesetzten CO2 wieder absorbiert und dauerhaft als Karbonatphase in die mineralische Struktur des Porenbetons, Kalksandstein und Betons eingebettet.
Darüber hinaus kann die Lebensdauer eines Gebäudes durch regelmäßige Wartung und Instandhaltung verlängert werden, aber das gilt für alle Arten von Gebäuden. Die größte Herausforderung ist die CO2-intensive Herstellung von Baumaterialien. Weitere Forschungen und Innovationen sind notwendig, um die Umweltbilanz weiter zu verbessern.
Auch die Energieeffizienz ist ein viel diskutiertes Thema.
Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, was wir meinen, wenn wir von Energieeffizienz sprechen. Aus unserer Sicht geht es um viel mehr als nur um die Reduzierung des Energieverbrauchs. Es geht um intelligente Lösungen für ein angenehmes Klima im Sommer und im Winter.
Auch hier punktet die Massivbauweise. Im Gegensatz zur Leichtbauweise kann sie aufgrund ihrer thermischen Trägheit Temperaturschwankungen besser ausgleichen. Die gespeicherte Kühle der Nacht gleicht die Hitze des Tages aus, der im Durchschnitt 5 Grad kühler ist als bei Holzbauten. Im Winter werden Heizkosten gespart, weil die tagsüber gewonnene Wärme im Gebäude bleibt. Studien haben gezeigt, dass der Energiebedarf und damit die Kosten um 3 Prozent niedriger sind.
Der Klimawandel bringt nicht nur extreme Temperaturen mit sich, sondern auch immer häufiger Überschwemmungen.
Starkregen und Hochwasser sind eine Bedrohung für jedes Gebäude. Aber auch hier hat die Massivbauweise Vorteile. Mauerwerk kann Wasser aufnehmen und später ohne Bauschäden wieder abgeben. Die Trocknungszeit ist kürzer – ohne Schimmelbildung oder andere Probleme. Und im Gegensatz zur Leichtbauweise mit Holzfaser- oder Gipskartonplatten, die durch Wasser aufquellen und sogar zerstört werden können, bleibt bei der Massivbauweise die Bausubstanz intakt.
Außerdem bietet sie mehr Sicherheit bei anderen extremen Wetterereignissen wie Erdbeben, Stürmen und Tornados.
Wie sieht der Baustoff der Zukunft aus?
Nachhaltiges Bauen erfordert keine radikale Abkehr von bewährten Baustoffen, sondern eine evolutionäre Weiterentwicklung. Die Grundeigenschaften – Tragfähigkeit, Wärmedämmung, Schallschutz und Brandbeständigkeit – werden unverzichtbar bleiben.
Intelligente Materialoptimierung, innovative Produktionsverfahren und intelligente Gebäudekonzepte werden das Bauen der Zukunft prägen. Vorfertigung und Digitalisierung können zudem die Effizienz auf der Baustelle steigern und die Abhängigkeit von der Witterung verringern.
Um all dies zu erreichen, brauchen wir offene Innovationsprozesse und die Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten.